Nicht nur die Angehörigen können so etwas entscheiden. Manchmal macht es auch der Patient selbst. So geschehen bei meiner Tante, die ich oben schon erwähnte. Sie hing vorher jahrelang an der Dialyse, stand aber wegen eines schwachen Herzens nie auf der Transplantationsliste. Nach dem Tod meines Onkels haben wir sie jedes zweite Wochenende zu uns geholt, während der Woche und am WE dazwischen ist oft meine Schwester vorbeigefahren. Als sie dann nicht mehr alleine bleiben konnte hat meine Mutter überlegt, sie ganz zu uns zu holen, hat schon geplant, welches Zimmer ebenerdig geräumt wird. Meine Tante wollte das absolut nicht. Sie wollte niemandem zur Last fallen. SIE war ja ihr ganzes Leben lang diejenige, die geholfen hat, zuerst als Krankenschwester während und nach dem Krieg, wo sie ihren Mann kennengelernt hat, der kaum, später gar nicht mehr laufen konnte (Kinderlähmung mit vier Jahren). Für sie war es ein Graus, jetzt auf Hilfe angewiesen zu sein, sich nicht mehr selber helfen zu können. Sie hat auch, wenn sie da war, immer versucht zu helfen, und sei es beim Salat putzen. Und uns regelmäßig zum Essen eingeladen, damit Mutter nicht kochen muss. Sie hatte quasi immer ein schlechtes Gewissen. Da war ihr das Heim lieber als die Unterbringung bei uns zu Hause.Mia hat geschrieben:Ich will innerlich bisweilen an den Gegebenheiten rütteln, will, dass die Angehörigen einen alten Menschen, der sich bei uns aufgibt, wieder nach Hause holen und ihn daheim weiter pflegen.
Ich darf das natürlich NIEmals sagen, sondern muss lächelnd ( und die Angehörigen tröstend) zusehen, wie ein alter Mensch eingeht. Denn letztlich haben sich alle drei letzten Patienten aufgegeben. Das war spürbar (und es ist unwahrscheinlich bitter, dabei zuzusehen), aber ihre Unterbringung bei uns war wohl nicht umkehrbar. Die Angehörigen hatten sich entschieden, es ging wohl nicht mehr anders - und Feierabend.
Ich weiß natürlich nicht, wie das bei Deinen Patienten ist. Ich weiß aber auch, wie belastend die Pflege meiner Mutter war, wie mir prophezeit wurde, ich wäre kurz davor zusammenzuklappen (und es waren nur viereinhalb Monate!), wie meine Schwester überlegte, sich von der Arbeit freistellen zu lassen (bei Beamten geht das), wie wir nach einer Pflegerin/Gesellschafterin gesucht haben, weil meine Mutter am Schluss kleine Anfälle von Verwirrtheit hatte und ich war ja den ganzen Tag in der Arbeit. Ich kann JEDEN Angehörigen verstehen, der vor dieser Aufgabe kapituliert. Nicht jeder ist dafür geschaffen zuzusehen, wie ein Angehöriger stirbt, wie ein Elternteil zum hilfsbedürftigen Kind wird. Irgendwann muss der Selbstschutz einsetzen. Auch wenn das bei anderen manchmal hartherzig ankommen mag.
Ich weiß, Du hast Deine Mutter zu Hause gepflegt. Aber bitte verurteile nicht die Menschen, die das aus welchem Grund auch immer nicht tun (können). So wie Du Deine Probleme mit Formularen und derlei Schriftkram hast so haben andere ihre Probleme mit Pflegebedürftigkeit.
Tut Dir wirklich weh, dass diese Menschen nicht zu Hause sterben können? Oder ist es nicht der Tod und das Leiden an sich und dass Du mehr oder weniger hilflos dabei zusehen musst? Ich bin mir absolut nicht sicher, dass Deine Patienten zu Hause glücklicher wären. Du würdest es jedoch nicht sehen, nicht ertragen müssen.
Kann es sein, dass Du mit der Pflege an sich, also mit Deinem Job, zunehmend ein Problem bekommst? Dass Du Dich nicht genug abgrenzen kannst, um das auf Dauer zu machen? Überlege Dir bitte gut, wie weit Du Dich belasten kannst, Mia! Du wärest nicht die erste und nicht die letzte, die an ihrem Job kaputt geht.