Geschichten und Gedichte

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Nemesia
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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Nemesia » Do Aug 20, 2009 16:34

Carolyn hat geschrieben:Vor allem, wenn man gerade frisch verliebt ist und es von der geliebten Person geschickt bekommt wie ich seinerzeit. :wink: *sich hiermit als hoffnungslos ramontisch outet* :lol:
Das ist wirklich sehr romantisch :grin: (wieso ramontisch :?: :shock: Hast Du das extra so geschrieben oder hast Du zu lange in der Sonne gelegen????? :wink: )


Ein Mädchen fragte einen Jungen:
"Magst du mich?" - Er: "Nein"
"Findest du mich hübsch?" - Er:"Nein"
"Bin ich in deinem Herz?" - Er:"Nein"
Als letztes fragte sie:
"Wenn ich weg gehen würde würdest du dann weinen?" - Er sagte wieder
nein. Sie drehte sich um und ging traurig davon :sad: :sad: :cry: :cry:


Da lief er hinter ihr her, hielt sie fest und sagte:
"Ich mag dich nicht, ich liebe dich.
Ich finde dich nicht hübsch, ich finde dich wunderschön.
Du bist nicht in meinem Herz, du bist mein Herz.
Ich würde nicht für dich weinen, ich würde für dich sterben!" :grin: :grin:

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Carolyn
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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Carolyn » Do Aug 20, 2009 19:17

"Ramontisch" war Absicht. Das ist ... Ironie? Sarkasmus? Übertreibung? Naja, jedenfalls nicht ernst. *g* Romantik ist gerne kitschig/schnulzig, deswegen mag ich Romantik eigentlich nicht. Außer ich verbreche sie selber. :lol:

Jetzt etwas vollkommen unromantisches: :cool:

Lebenszeit
Ein Professor stand vor seiner Philosophieklasse und hatte einige Gegenstände vor sich. Als der Unterricht begann, nahm er wortlos einen sehr großen Blumentopf und fing an, diesen mit Golfbällen zu befüllen. Er fragte die Schüler, ob der Topf voll sei. Sie bejahten es. Dann nahm der Professor ein Behältnis mit Kieselsteinen und schüttete diese in den Topf. Er bewegte den Topf sachte und die Kieselsteine rollten in die Leerräume zwischen den Golfbällen. Dann fragte er die Studenten wiederum, ob der Topf nun voll sei. Sie stimmten zu. Der Professor nahm als nächstes eine Dose mit Sand und schüttete diesen in den Topf. Natürlich füllte der Sand den kleinsten verbliebenen Freiraum. Er fragte wiederum, ob der Topf nun voll sei. Die Studenten antworteten einstimmig mit 'ja'.
Der Professor holte zwei Tassen Kaffee unter dem Tisch hervor und schüttete den ganzen Inhalt in den Topf und füllte somit den letzten Raum zwischen den Sandkörnern aus. Die Studenten lachten.
'Nun', sagte der Professor, als das Lachen langsam nachließ, 'Ich möchte, dass sie diesen Topf als die Repräsentation ihres Lebens ansehen...
Die Golfbälle sind die wichtigsten Dinge in ihrem Leben: Ihre Familie, ihre Kinder, ihre Gesundheit, ihre Freunde, die bevorzugten, ja leidenschaftlichen Aspekte ihres Lebens, welche, falls in ihrem Leben alles verloren ginge und nur noch diese verbleiben würden, ihr Leben trotzdem noch erfüllend wäre. Die Kieselsteine symbolisieren die anderen Dinge im Leben, wie ihre Arbeit, ihr Haus, ihr Auto. Der Sand ist alles andere, die Kleinigkeiten.
Falls sie den Sand zuerst in den Topf geben,' fuhr der Professor fort, 'hat es weder Platz für die Kieselsteine, noch für die Golfbälle. Dasselbe gilt für ihr Leben. Wenn sie all ihre Zeit und Energie in Kleinigkeiten investieren, werden sie nie Platz haben für die wichtigen Dinge. Achten sie auf die Dinge, welche ihr Glück gefährden. Spielen sie mit den Kindern. Nehmen sie sich Zeit für eine medizinische Untersuchung. Führen sie ihren Partner zum Essen aus. Es wird immer noch Zeit bleiben, um das Haus zu reinigen oder Pflichten zu erledigen. Achten sie zuerst auf die Golfbälle, die Dinge, die wirklich wichtig sind. Setzen sie ihre Prioritäten. Der Rest ist nur Sand.'
Einer der Studenten erhob die Hand und wollte wissen, was denn der Kaffee repräsentieren soll. Der Professor schmunzelte: 'Ich bin froh, dass sie das fragen. Er ist dafür da, ihnen zu zeigen, dass - egal wie schwierig ihr Leben auch sein mag, es immer noch Platz hat für die eine oder andere Tasse Kaffee.
Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird. (Winston Churchill)

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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Carolyn » Di Aug 25, 2009 12:59

Carolyn hat geschrieben:Passend zu (einem Teil des Sinns) Deines Gedichtes hätte ich da auch einen Text über Masken, aber der steht nur in meinem Forum und carookee hat es immer noch nicht auf die Reihe bekommen, den Fehler zu beheben.
Mein Forum ist wieder da, auch wenn die Beiträge der letzten zwei Monate fehlen. *seufz* Aber laut carookee-FAQ gab es ja noch nie einen Datenverlust! :roll:
Hier aber jetzt der Text über Masken wie versprochen:

Bitte höre, was ich nicht sage! Lass dich nicht von mir narren. Lass dich nicht durch das Gesicht täuschen, das ich mache. Denn ich trage tausend Masken - Masken, die ich fürchte abzulegen. Und keine davon bin ich. So tun als ob ist eine Kunst, die mir zur zweiten Natur wurde. Aber lass dich dadurch nicht täuschen, um Gottes willen, lass dich von mir nicht narren.
Ich mache den Eindruck, als sei ich umgänglich, als sei alles sonnig und heiter in mir, innen wie außen, als sei mein Name Vertrauen und mein Spiel Kühle, als sei ich ein stilles Wasser und als könne ich über alles bestimmen, so als brauchte ich niemanden. Aber glaub mir nicht, bitte, glaub mir nicht! Mein Äußeres mag sicher erscheinen, aber es ist meine Maske. Darunter ist nichts Entsprechendes. Darunter bin ich, wie ich wirklich bin: verwirrt, in Furcht und alleine. Aber ich verberge das. Ich möchte nicht, dass es irgendjemand merkt. Beim bloßen Gedanken an meine Schwächen bekomme ich Panik und fürchte mich davor, mich anderen überhaupt auszusetzen. Gerade deshalb erfinde ich verzweifelt Masken, hinter denen ich mich verbergen kann: eine lässige, kluge Fassade, die mir hilft, etwas vorzutäuschen, die mich vor dem wissenden Blick sichert, der mich erkennen würde. Dabei wäre dieser Blick gerade meine Rettung. Und ich weiß es. Wenn er verbunden wäre mit Angenommenwerden, mit Liebe. Das ist das einzige, das mir die Sicherheit geben würde, die ich mir selbst nicht geben kann: dass ich wirklich etwas wert bin.
Aber das sage ich dir nicht. Ich wage es nicht. Ich habe Angst davor. Ich habe Angst, dass dein Blick nicht von Annahme und Liebe begleitet wird. Ich fürchte, du wirst gering von mir denken und über mich lachen - und dein Lachen würde mich umbringen. Ich habe Angst, dass ich tief drinnen in mir selbst nichts bin, nichts wert, und dass du das siehst und mich abweisen wirst.
So spiele ich mein Spiel, mein verzweifeltes Spiel: eine sichere Fassade außen und ein zitterndes Kind innen.
Ich rede daher im gängigen Ton oberflächlichen Geschwätzes. Ich erzähle dir alles, was wirklich nichts ist, aber nichts von alledem, was wirklich ist, was in mir schreit; deshalb lass dich nicht täuschen von dem, was ich aus Gewohnheit rede. Bitte höre sorgfältig hin und versuche, zu hören, was ich nicht sage, was ich gerne sagen möchte, was ich um des Überlebens willen rede und was ich nicht sagen kann.
Ich verabscheue Versteckspiel. Ehrlich! Ich verabscheue dieses oberflächliche Spiel, das ich da aufführe. Es ist ein unechtes Spiel. Ich möchte wirklich echt und spontan sein können, einfach ich selbst, aber du musst mir helfen. Du musst deine Hand ausstrecken, selbst wenn es gerade das letzte zu sein scheint, was ich mir wünsche. Nur du kannst diesen leeren, toten Glanz von meinen Augen nehmen. Nur du kannst mich zum Leben rufen. Jedes Mal, wenn du freundlich und sanft bist und mir Mut machst, jedes Mal, wenn du zu verstehen versuchst, weil du dich wirklich um mich sorgst, bekommt mein Herz Flügel - sehr kleine Flügel, sehr brüchige Schwingen, aber Flügel!
Dein Gespür, dein Mitgefühl und die Kraft deines Verstehens hauchen mir Leben ein. Ich möchte, dass du das weißt. Ich möchte, dass du weißt, wie wichtig du für mich bist, wie sehr du aus mir den Menschen machen kannst, der ich wirklich bin - wenn du willst. Bitte, ich wünschte, du wolltest es. Du allein kannst die Wand niederreißen, hinter der ich zittere. Du allein kannst mir die Maske abnehmen. Du allein kannst mich aus meiner Schattenwelt, aus Angst und Unsicherheit befreien - aus meiner Einsamkeit.
Übersieh mich nicht. Bitte - bitte, übergeh mich nicht! Es wird nicht leicht für dich sein. Die lang andauernde Überzeugung, wertlos zu sein, schafft dicke Mauern. Je näher du mir kommst, desto blinder schlage ich zurück. Ich wehre mich gegen das, wonach ich schreie. Aber man hat mir gesagt, dass Liebe stärker sei als jeder Schutzwall, und darin liegt meine Hoffnung. Bitte versuche diese Mauern einzureißen, mit sicheren Händen, aber mit zarten Händen: ein Kind ist sehr empfindsam.
Wer ich bin, magst du fragen? Ich bin jemand, den du sehr gut kennst.


(aus) Tobias Brocher, Von der Schwierigkeit zu lieben
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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Mama Heike » Mi Aug 26, 2009 22:13

Ein kleines Boot traurig dümpelt,
an dem alten hölzern Steg.
Leise plätschern kleine Wellen,
alte Freunde auf seinem Lebendsweg.

Sinnend träumt es von längst vergangnen Tagen,
wo sich über ihm die großen Wogen trafen.

Immer war es stets auf Achse, zuverlässig, voller Freude und Elan.
Vielen Leuten stets zu diensten, ohne jedes weh und ach.

Auf die ersten Kratzer folgten tiefe Risse,
nun ist es aus und keine will es.

Wie hab ich das verdient, warum?
Nur ein kleines bischen Pflege bräuchte ich,
ein wenig schönen Lack.
Dann könnt ich wieder zeigen, wie schön ich bin und stark!

Könnt wieder schaukeln mit den Wellen,
den Gesang des Windes in den Segeln.

Still und traurig liegt es ganz allein,
nun am Strand im Mondenschein.
__________________

Das kleine Boot, es will hinaus in andre Welten.
Es schaut aufs Meer, so voll der Sehnsucht,
hört das Rauschen, tanzender Wellen.

Sieht wie kleine Fische durch das Wasser zischen,
spielend mit der Wellen Takt.

Es rafft sich auf und reisst sich los,
wieder der Gewalten.
Seine Segel voller Kraft sich bauschen,
der Wind hat es geschafft.

Nun fliegt es voller Freude, übers Meer hinaus.
Am Horizont die Sterne leuchten,
ach wie glücklich es nun war.

Aber, was türmen sich dort hinten,
dunkle, drohende Gewalten?

Rohe Kräfte, das Wasser peitschen, hoch zu Bergen türmen.
Nur ein Moment des Zögerns, und es wären Trümmer.

Das kleine Boot, mutig steuert, gradewegs hinauf.

Es kämpft und ackert, voll der Hoffnung auf das neue Glück.

Oh, wie schön ist es dort oben, herrlich diese Sicht.
Und wieder am Horizont die Sterne leuchten, voll der Freude auf das neue Glück.

Ach oh weh, es geht hinunter, in das dunkle Wellental.
Immer schneller rast runter, ohne Halt und düster überall.

Ängstlich jammernd sehnt es sich zurück,
an des Strandes beschaulichem Glück.

__________________________________

Zweifelnd schaut das kleine Boot nach oben,
lohnt sich diese Müh und Plag?
Nochmals diesen Weg erobern, trotzend der Gewalt?

Alle Kraft aus sich holend, fährt es wiedermal Bergan.
Immer schneller, mutiger, voll der Hoffnung,
auf ein fernes Land.

Oben auf dem Wellenberg lockt der Sonne Licht,
Sich wärmend tanzt es nun, in der Welle Gischt.

Es frohlockt und will die Welt umarmen,
ach wie herrlich diese Sicht!
Lieben Gruß Heike

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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von unermüdlich » Do Aug 27, 2009 11:44

Carolyn hat geschrieben: Lass dich nicht durch das Gesicht täuschen, das ich mache. Denn ich trage tausend Masken - Masken, die ich fürchte abzulegen. Und keine davon bin ich.
tragen wir nicht alle Masken?????



Gruß
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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Carolyn » Do Aug 27, 2009 13:26

Sicher, aber nicht alle sind sich dessen bewußt, dass andere Masken tragen. Und manche sind sich nicht mal ihrer eigenen Masken bewußt.
Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird. (Winston Churchill)

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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Nemesia » Fr Aug 28, 2009 08:58

Die Küchenuhr

Sie sahen ihn schon von weitem auf sich zukommen, denn er fiel auf. Er hatte ein ganz altes Gesicht, aber wie er ging, daran sah man, daß er erst zwanzig war. Er setzte sich mit seinem alten Gesicht zu ihnen auf die Bank. Und dann zeigte er ihnen, was er in der Hand trug.

Das war unsere Küchenuhr, sagte er und sah sie alle der Reihe nach an, die auf der Bank in der Sonne saßen. Ja, ich habe sie noch gefunden. Sie ist übriggeblieben. Er hielt eine runde tellerweiße Küchenuhr vor sich hin und tupfte mit dem Finger die blaugemalten Zahlen ab.

Sie hatte weiter keinen Wert, meinte er entschuldigend, das weiß ich auch. Und sie ist auch nicht so besonders schön. Sie ist nur wie ein Teller, so mit weißem Lack. Aber die blauen Zahlen sehen doch ganz hübsch aus, finde ich. Die Zeiger sind natürlich nur aus Blech. Und nun gehen sie auch nicht mehr. Nein. Innerlich ist sie kaputt, das steht fest. Aber sie sieht noch aus wie immer. Auch wenn sie jetzt nicht mehr geht.

Er machte mit der Fingerspitze einen vorsichtigen Kreis auf dem Rand der Telleruhr entlang. Und er sagte leise: Und sie ist übriggeblieben.

Die auf der Bank in der Sonne saßen, sahen ihn nicht an. Einer sah auf seine Schuhe und die Frau in ihren Kinderwagen. Dann sagte jemand:
Sie haben wohl alles verloren?
Ja, ja, sagte er freudig, denken Sie, aber auch alles! Nur sie hier, sie ist übrig. Und er hob die Uhr wieder hoch, als ob die anderen sie noch nicht kannten.
Aber sie geht doch nicht mehr, sagte die Frau.
Nein, nein, das nicht. Kaputt ist sie, das weiß ich wohl. Aber sonst ist sie doch noch ganz wie immer: weiß und blau. Und wieder zeigte er ihnen seine Uhr. Und was das Schönste ist, fuhr er aufgeregt fort, das habe ich Ihnen ja noch überhaupt nicht erzählt. Das Schönste kommt nämlich noch: Denken Sie mal, sie ist um halb drei stehengeblieben. Ausgerechnet um halb drei, denken sie mal!

Dann wurde Ihr Haus sicher um halb drei getroffen, sagte der Mann und schob wichtig die Unterlippe vor, Das habe ich schon oft gehört. Wenn die Bombe runtergeht, bleiben die Uhren stehen. Das kommt von dem Druck.

Er sah seine Uhr an und schüttelte überlegen den Kopf. Nein, lieber Herr, nein, da irren Sie sich. Das hat mit den Bomben nichts zu tun. Sie müssen nicht immer von den Bomben reden. Nein. Um halb drei war ganz etwas anderes, das wissen Sie nur nicht. Das ist nämlich der Witz, daß sie gerade um halb drei stehengeblieben ist. Und nicht um viertel nach vier oder um sieben. Um halb drei kam ich nämlich immer nach Hause. Nachts, meine ich. Fast immer um halb drei. Das ist ja gerade der Witz Er sah die anderen an, aber die hatten ihre Augen von ihm weggenommen. Er fand sie nicht. Da nickte er seiner Uhr zu: Dann hatte ich natürlich Hunger, nicht wahr? Und ich ging immer gleich in die Küche. Da war es dann immer fast halb drei. Und dann, dann kam nämlich meine Mutter. Ich konnte noch so leise die Tür aufmachen, sie hat mich immer gehört. Und wenn ich in der dunklen Küche etwas zu essen suchte, ging plötzlich das Licht an. Dann stand sie da in ihrer Wolljacke und mit einem roten Schal um. Und barfuß. Immer barfuß. Und dabei war unsere Küche gekachelt. Und sie machte ihre Augen ganz klein, weil ihr das Licht so hell war. Denn sie hatte ja schon geschlafen. Es war ja Nacht.

So spät wieder, sagte sie dann. Mehr sagte sie nie. Nur: So spät wieder. Und dann machte sie mir das Abendbrot warm und sah zu, wie ich aß. Dabei scheuerte sie immer die Füße aneinander, weil die Kacheln so kalt waren. Schuhe zog sie nachts nie an. Und sie saß so lange bei mir, bis ich satt war. Und dann hörte ich sie noch die Teller wegsetzen, wenn ich in meinem Zimmer schon das Licht ausgemacht hatte. Jede Nacht war es so. Und meistens immer um halb drei. Das war ganz selbstverständlich, fand ich, daß sie mir nachts um halb drei in der Küche das Essen machte. Ich fand das ganz selbstverständlich. Sie tat das ja immer. Und sie hat nie mehr gesagt als: So spät wieder. Aber das sagte sie jedesmal.

Und ich dachte, das könnte nie aufhören. Es war mir so selbstverständlich. Das alles war doch immer so gewesen.

Einen Atemzug lang war es ganz still auf der Bank.

Dann sagte er leise: Und jetzt? Er sah die anderen an. Aber er fand sie nicht. Da sagte er der Uhr leise ins weißblaue runde Gesicht: Jetzt, jetzt weiß ich, daß es das Paradies war. Auf der Bank war es ganz still. Dann fragte die Frau: Und ihre Familie?
Er lächelte sie verlegen an: Ach, Sie meinen meine Eltern? Ja, die sind auch mit weg. Alles ist weg. Alles, stellen Sie sich vor. Alles weg.
Er lächelte verlegen von einem zum anderen. Aber sie sahen ihn nicht an.
Da hob er wieder die Uhr hoch und er lachte. Er lachte: Nur sie hier. Sie ist übrig. Und das Schönste ist ja, daß sie ausgerechnet um halb drei stehengeblieben ist.
Ausgerechnet um halb drei.
Dann sagte er nichts mehr. Aber er hatte ein ganz altes Gesicht. Und der Mann, der neben ihm saß, sah auf seine Schuhe. Aber er sah seine Schuhe nicht. Er dachte immerzu an das Wort Paradies.


Wolfgang Borchert (1921 - 1947)

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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Carolyn » Fr Aug 28, 2009 10:54

Diese Geschichte läßt mich frieren. *einsammel*
Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird. (Winston Churchill)

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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Nemesia » Sa Aug 29, 2009 14:56

Wolfgang Borchert ist einer meiner Lieblingsautoren...Die Geschichten von ihm gehen alle ganz schön ans Herz oder an die Nieren oder sonst wohin.... :sad:

Auch Leo Tolstoi gehört zu meinen Favoriten....Ich werde mal demnächst was über sein Leben und seinen Freiheitsdrang hier reinschreiben....Ein wirklicher Idealist...Naja,.... bevor ich jetzt wieder abschweife .....eine Kurzgeschichte von ihm:


DIE DREI SÖHNE

Drei Frauen wollten am Brunnen Wasser holen.
Sie lobten ihre Söhne. «Mein Sohn ist in allem sehr geschickt», erzählte die erste Frau. «Und meiner kann wunderschön singen», sagte die zweite Frau. Die dritte Frau schwieg.
«Warum sagst du nichts?», fragten die beiden Frauen. Sie antwortete: «Mein Sohn ist ein ganz gewöhnlicher Junge. Er hat nichts Besonderes an sich.»

In der Nähe des Brunnens saß ein alter Mann und hatte gehört, was die drei Frauen zusammen gesprochen hatten.

Die Frauen machten sich mit schweren Wasserkübeln auf den Heimweg. Der alte Mann ging langsam hinter ihnen her. Er sah, dass die Frauen die schweren Eimer fast nicht tragen konnten. Da kamen ihnen drei Knaben entgegen. Der erste turnte vor ihnen herum. Der zweite sang ein Lied vor. Der dritte Junge lief zu seiner Mutter, nahm ihr die beiden Eimer ab und trug sie nach Hause.

Die Frauen fragten den alten Mann. «Was sagst du zu unseren Söhnen?» Der Greis antwortete verwundert: «Welche Söhne meint ihr? Ich habe nur einen einzigen Sohn gesehen.»

Leo Tolstoi

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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Nemesia » Mi Sep 02, 2009 19:46

BildBild



WOLFGANG BORCHERT - ZWEI MÄNNERBild

Es waren einmal zwei Menschen. Als sie zwei Jahre alt waren, da schlugen sie sich mit den Händen.

Als sie zwölf waren, schlugen sie sich mit Stöcken und warfen mit Steinen.

Als sie zweiundzwanzig waren, schossen sie mit Gewehren nach einander.

Als sie zweiundvierzig waren, warfen sie mit Bomben.

Als sie zweiundsechzig waren, nahmen sie Bakterien.

Als sie zweiundachtzig waren, da starben sie. Sie wurden nebeneinander begraben.

Als sich nach hundert Jahren ein Regenwurm durch beide Gräber fraß, merkte er gar nicht,

dass hier zwei verschiedene Menschen begraben waren. Es war dieselbe Erde. Alles dieselbe Erde.

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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Lilliput » Do Sep 03, 2009 09:02

Schöne Gedichte und Geschichten die ich da gelesen habe. Mal sehen ob ich da mithalten kann mit meinem Gedicht.

Ich sprach zur Taube: Flieg und bring im Schnabel
das Krat mit heim, das Liebesmacht verleiht.
Am ganges blüht es, in dem Land der Fabel -
die Taube sprach: Es ist zu weit.

Ich sprach zum Adler: Spanne dein Gefieder
und für das Herz, das kalt sich mir entzog,
hol einen Funken Glut vom Himmel nieder -
der Adler sprach: Es ist zu hoch.

Da sprach zum Geier ich: Reiß aus dem Herzen
den Namen mir, der eingegraben steht,
vergessen lernen will ich und - verschmerzen -
der geier sprach: Es ist zu spät.

Titel und Vefasser ist mir leider unbekannt.

LG Muscosa

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Re: Geschichten und Gedichte

Beitrag von Carolyn » Do Sep 03, 2009 11:10

@ Muscosa: Das klingt ein wenig nach dem Schandmaul-Lied "Die drei Prüfungen" vom Thema her, auch wenn ich es im Gedicht besser umgesetzt finde.

Refrain:
"Bring den härt'sten Fels auf Erden!
Bring mir den hellsten Strahl!
Bring mir den Quell des Lebens!
Löse deine Qual!"


Mehr poste ich mal nicht, des Copyrights wegen...
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